30. Juli 2020 – Sebastian Tegtmeyer
Prostituierte demonstrieren in Hamburg, Berlin & Co.
Anfang der Woche sind mehr als 80 Prostituierte mit Plakaten, einer Lichtshow und zu Rockhymnen von der Herbertstraße zur Davidwache gezogen, um auf ihre Situation in der Corona-Pandemie aufmerksam zu machen. Die Aidshilfe fordert währenddessen, Prostitution schnellsten wieder zuzulassen.
Mehr als 80 Huren, maskiert und teils in Lack und Leder, ziehen mit Plakaten, einer Lichtshow und zu Rockhymnen über das nasse Kopfsteinpflaster von der Herbertstraße zur Davidwache. Was Anfang der Woche auf St. Pauli als professionell inszenierte Show daherkam ist Protest. „Wir kämpfen um unsere Existenz“, sagt die 50-Jährige, die sich Ginger nennt und als Domina in der Herbertstraße arbeitet - dort, wo die Prostituierten sonst dicht an dicht und leicht bekleidet in Schaufenstern sitzen und auf Freier warten. Sonst. Denn seit Corona ist alles anders, käuflicher Sex verboten und Ginger wie viele ihrer Kolleginnen arbeits- und einkommenslos.
Deutschlandweite Proteste
Neben Hamburg gab es auch in Berlin, Köln und weiteren Städten Proteste und Aktionen zur Vorstellung von Hygienekonzepten, mit denen auch das Sexgeschäft ohne größeres Infektionsrisiko wieder möglich sein soll - wie in andern Branchen mit sogenannten körpernahen Dienstleistungen.
Sicheres Arbeitsumfeld muss gegeben sein
Organisiert wird der Protest gegen die Bordellschließungen unter anderem vom Bundesverband sexuelle Dienstleistungen (BSD) und dem Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, die neben Sexarbeiterinnen auch Bordellbetreiber vertreten. Unterstützung kommt nun auch von der Deutschen Aidshilfe, die ebenfalls eine coronabedingte Verdrängung der legalen Prostitution in die Illegalität befürchtet. „Menschen in der Sexarbeit brauchen ein sicheres Arbeitsumfeld mit fairen Regeln und rechtlicher Absicherung“, sagt Ulf Kristal, DAH-Vorstand. Sicherheit lasse sich aber nur unter legalen Bedingungen herstellen, ebenso der Infektionsschutz. „Gerade jetzt, wo Infektionszahlen wieder steigen, sind klare Spielregeln wichtig.“
Das sieht auch Falko Droßmann, Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte so: „Das sind Menschen, die dürfen wir nicht vergessen, auch nicht in ihrer Berufstätigkeit“, sagt er und betont „dass die Damen, die hier in diesen Prostitutionsstätten arbeiten, angemeldet sind, registriert sind bei der Stadt, Steuern zahlen, Sozialversicherung bezahlen und sich ein Hygienekonzept überlegt haben.“
Sexualität finde nun mal statt, Corona hin oder her. „Und wir haben es derzeit in den Parks, wo es sehr viel stattfindet. Der Straßenstrich, den wir in vielen Bereichen nicht kontrollieren können, findet statt und die ganzen Dienstleistungen in Escort-Wohnungen finden statt“, so Droßmann. „Und die einzigen, die legal ihre Dienstleistungen anbieten, das sind die, die es nicht machen können.“ Für Hamburg stellte er eine Wiederzulassung der Prostitution zum 1. September in Aussicht, im Schulterschluss mit den Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein und immer vorausgesetzt, die Corona-Fallzahlen gehen nicht noch weiter in die Höhe.
Entsprechende Hygienekonzepte sähen vor
Mund-Nasen-Schutz plus eine Unterarmlänge Abstand zwischen Gesichtern plus Safer Sex. Hundertprozentige Sicherheit werde auch in anderen Branchen nicht gefordert und wäre ohnehin illusorisch.
Es gibt auch kritische Töne
Huschke Mau, ehemals selbst Prostituierte, glaubt nicht an „saubere Prostitution“ und Freiwilligkeit. In ihrem Blog setzt sie sich für das sogenannte Nordische Modell ein, das entgeltliche Inanspruchnahme sexueller Dienstleistung unter Strafe stellt - sich also kriminalisierend vor allem gegen die Freier richtet.
Auch sie sieht die Probleme der Frauen von der Reeperbahn: „Sie dürfen gerade nicht anschaffen, die Bordelle bleiben zu. Das Problem: für viele dieser Frauen stehen keine weiteren Optionen offen“, schreibt sie in ihrem Blog. Die fehlenden Corona-Hilfen speziell für Prostituierte sind für Huschke Mau „eine besondere Abartigkeit“ des Patriarchats: „Frauen das Recht auf Existenz nur dann zuzugestehen, wenn sie dafür ficken.“
(dpa / ste)